Reformbewegungen

«Die Jahrhundertwende gestaltete sich als grandiose Aufbruchszeit. Die Städte wuchsen und schmückten sich mit wuchtigen Wohn- und repräsentativen Rathäusern, in Berlin entstand das Reichstagsgebäude. Die Industrialisierung stellte gewaltige Ressourcen zur Verfügung. Die einen stiegen ins Automobil und setzten auf die Technisierung der Welt – die anderen riefen „Zurück zur Natur!“, Nackttanzen, Wandervögel, vernetzte Kontinente. Alles war im Aufbruch, alles änderte sich.»
(Hedwig Richter)

Der Monte Verità

«Die bedeutung des fon uns gewälten namens der anstalt [ist so] zu erklären, das wir keines wegs behaupten, die ‹warheit› gefunden zu haben, monopolisiren zu wolen, sondern dass wir entgegen dem oft lügerischen gebaren der geschäftswelt u. dem her konvenzioneler forurteile der geselschaft danach streben, in wort u. tat ‹war› zu sein, der lüge zur fernichtung, der warheit zum sige zu ferhelfen.»

Sogar die Rechtschreibung wurde reformiert, wie das Zitat von Ida Hofmann, der Mitbegründerin des Monte Verità zeigt. Der Pianistin und dem  Industriellen-Sohn Henri Oedenkoven schwebte eine «vegetabile Cooperative» vor. Um das Siedlungsprojekt zu finanzieren und gleichzeitig einer grösseren Öffentlichkeit bekannt zu machen, gründeten sie die Naturheilstätte Sonnen-Kuranstalt, dem wenig später das Sanatorium Monte Verità folgte.

Freiheit

Veganer, Theosophen, Modemacher, Lebensreformer, Architekten, Mediziner, Reformlandwirte, Ernährungswissenschaftler, Reformpädagoginnen, Anarchisten, Kommunisten, Sozialdemokraten, Psychoanalytiker, Schriftsteller, Dichter, Künstler, Tänzerinnen – alle wurden sie von diesem Biotop, das die Kernbildung einer neuen Gesellschaft versprach, hypnotisch angzogen.
Beim Eintritt musste man Korsett, Frack und Stehkragen ablegen und gegen die Reformkleidung eintauschen. Den alten Menschen liess man hinter sich, ein neuer war geboren.

Rudolf Steiner

Rudolf Steiner war der Begründer der Anthroposophie. Die Goetheschen Forschungen weiter entwickelnd schlug er vor, die moderne Naturwissenschaft zu einer exakten Geisteswissenschaft zu erweitern. Der Mensch ist so durch Schulung fähig, über die Wahrnehmung der Sinne hinaus in geistige Welten einzudringen.

Um Steiner scharten sich so Menschen mit der Sehnsucht nach einer geistigen Welt. Theosophen, Künstler, Wissenschaftler und Anhänger  anderer Reformbewegungen, wie dem Monte Verità, die den Wunsch hatten in Dornach mit zu arbeiten. Es entstanden die ersten Impulse zur anthroposophischen Architektur, der Waldorfpädagogik, der anthroposophischen Medizin und Pharmazie (Klinik und Weleda in Arlesheim), der biodynamischen Landwirtschaft und der Bewegungskunst Eurythmie.

Für viele Sinnsuchende wurde das Goetheanum in Dornach zu einer neuen Heimat.