Die Schweiz im I. Weltkrieg
Ins eigentliche Kriegsgeschehen wurde die Schweiz nicht miteinbezogen. Aber sie diente sich den Kriegsparteien als Lieferant unterschiedlichster Waren an. Kurz nach Kriegsbeginn im August 1914 hatte Frankreich schweizerische Offerten für Munitionsbestandteile noch dankend abgelehnt. Anfangs 1915 kamen sie angesichts der Munitionskrise reumütig auf die angebotenen Dienste zurück.
Uhren sind Zünder
Die Schweiz war bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht nur eines der am stärksten industrialisierten Länder der Welt überhaupt, sondern verfügte auch über eine international renommierte – und stark exportorientierte – Uhren-, Metall- und Maschinenindustrie.
Die Uhrenindustrie und ihre Zulieferer waren besonders gut geeignet für die Herstellung der technisch anspruchsvollen Aufschlag- und Zeit- beziehungsweise Präzisionszündern für Schrapnell- Granaten. Anfangs 1916 lieferte die Schweiz rund 600’000 Zünder pro Woche, im Januar 1917 lagen Genfer Firmen Bestellungen für über 18 Millionen Zünder vor.
Contrôle, Kontrolle, Control
Schon früh legten die Kriegsparteien ein scharfes Augenmerk auf die von ihnen gelieferten Rohstoffe, Energie und Maschinen. Sie versuchten über von ihnen eingesetzt «Treuhandgesellschaften» den Warenverkehr unter Kontrolle zu halten, damit mit den von ihnen gelieferten Gütern die Schweizer Firmen nicht für die gegnerische Kriegspartei produzierten. Die Kurzformel lautete: Entente-Energie, Entente-Rohstoffe, Entente-Maschinen strikt für Entente Munitionsbestanteile. Und umgekehrt.
Dabei wurden die Schweizer Firmen regelmässig von eidgenössischen Kontrolleuren wie von Inspektoren der Kriegsparteien inspiziert.
Wildwuchs
Die Herstellung von Munition erfolgte nicht nur in großen, traditionsreichen Unternehmen wie Zénith (in Le Locle), Piccard-Pictet & Cie. (in Genf), den Schweizerischen Metallwerken (in Dornach) oder der Tavannes Watch Co. (in Tavannes), sondern auch in kleineren, über das ganze Land verstreuten gewerblichen Betrieben, die ihre Produktion auf den Kriegsbedarf umstellten. Zugleich führte der Krieg zu einer «Hochflut» von Unternehmensgründungen, wobei «Munitionswerkstätten», die sich hinter «euphemistischen Bezeichnungen» wie «Messingdreherei» oder «Fabrik für Präzisionsbestandteile» verbargen, unter den Neugründungen besonders zahlreich waren. Gemäß der schweizerischen Arbeitgeber-Zeitung war es den «ungeheuren, ohne jede Rücksicht auf die Preise vergebenen Aufträgen» zu danken, dass «nicht nur Uhrmacher und Mechaniker, sondern auch Bäckermeister, Buchdrucker und Coiffeure um die Wette Munitionsfabriken gründeten».
(Roman Rossfeld, Abgedrehte Kupferwaren)